Donnerstag, 25. Juni 2009

Der Drogendealer


"Wenn Sterben menschlich ist, was ist dann Töten?"
- Dominik Krenner

Die Slums von Q-City boten nicht nur genug Schutz, sondern auch ausreichend Ablenkung. Ich fühlte mich sicher, obgleich ich beobachtet wurde vom armen Gesindel und dem Abschaum der Stadt, der hier Zuflucht suchte. Straßennamen hatten hier keine Bedeutung. Sie waren, wenn vorhanden, falsch oder unzuverlässig. Entweder man kannte sein Ziel und bewegte sich zielstrebig darauf zu oder man fand sich früher oder später in einer Sackgasse wieder, in der man nicht wieder herauskam. Der faulige Gestank von allmöglichen vermischte sich mit dem von Ausscheidungen der hier lebenden Kreaturen. Auch wenn die Sonne schon einige Minuten hinter dem Horizont verschwunden war, kam einen die Hitze vor als wäre es Mittag.
"Als Europäer würde ich mich nie an dieses Klima gewöhnen", ging mir durch den Kopf, als ich die letzte Ecke meines Weges erreichte. Die Wellblechhütte diente als eine Art Krims-Krams Shop. Sein gesamtes Warenangebot dürfte den Wert meiner Schuhe haben, die ich sonst immer passend zu meinem Outfit anhatte. Nicht das Paar, das ich jetzt trug. Diese abgetretenen Sneakers erfüllten ihren Zweck. Sie boten mir ein bequemes Voranschreiten und schützten meine Füße vor dem teilweise nicht ungefährlichen Abfällen über die ich mich bewegte. Einen Moment lang blieb ich stehen und blickte mich unauffällig um. Die beiden Teenager, die mich seit ein paar Minuten verfolgten, würden nun sicherlich vermuten, dass ich mich verlaufen hatte. Ich entschied mich, die beiden ersteinmal loszuwerden. Auch wenn das, was ich hier vorhatte, an diesem Ort nichts ungewöhnliches war, brauchte ich keine Zeugen. Doch diese beiden Gauner nahmen mir Zeit. Meiner Einschätzung nach müsste ich sie entweder komplett kalt stellen oder sie so lange mit sich selbst beschäftigen lassen, bis ich meine Arbeit zu Ende gebracht habe. Aus meinen Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass sie ebenfalls stehengeblieben waren und die Situation einschätzten. Das gab mir genug Zeit mich zu vergewissern, dass mein eigentliches Ziel dort war, wo ich es vermutete. Der kleine pummelige Mittzwanziger mit seinem schwarzen Basecap und der zerfransten Jeans stand an der gegenüberliegenden Ecke an der Wand und wartete auf Kundschaft. Der Hauseingang neben ihm diente ihm nicht nur als Depot seiner illegalen Ware, sondern auch als Fluchtweg. Soweit ich es Tage zuvor ausgespäht hatte, führte der Hausflur direkt über einen kleinen Hof zur nächsten Parallelstraße. Dort lungerten genug Kumpanen von ihm herum, die ihm in der Not helfen würden. Antonio DeGuzman war ein kleiner Drogendealer. Ein Glühwürmchen in diesem dreckigen Sumpf, dass nicht einmal genug Licht aussendete, um aufzufallen. Er versorgte die Straßenkids und die Nutten der Gegend mit Crystal Meth, verscherbelte Diebesgut und stand auf meiner Liste. Es gab tausend Gründe, warum Tony-D, wie ihn seine Freunde nannten, auf dieser Liste stand. Doch nur einer war entscheidend. Der Grund meines Auftraggebers.
Meine beiden Verfolger erfüllte nun entweder genug Mut oder Ungeduld. Anhand ihrer Geschwindigkeit, mit der sie sich näherten, erkannte ich, dass sie ihren geplanten Überfall auf mich schnell erledigen wollten. Da ich heute noch etwas vorhatte, kam mir das ganz recht. Blitzschnell drehte ich mich um, und ging ihnen mit flinken Schritten in der Gasse entgegen. Da sie damit nicht gerechnet hatten, blieben sie überrascht stehen und schauten sich in der Hoffnung an, der jeweils andere möge den ersten Schritt machen.
Ich kam ihnen wortlos zuvor. Mein schwerer Fausthieb krachte mit ungeheurer Wucht auf das Jochbein des einen ein. Er ging sofort zu Boden. Jetzt bemerkte ich das Messer in der Hand des anderen. Obwohl er sich schnell aus seiner Starre löste und es mir entgegen streckte, hatte er nicht mit meiner Schnelligkeit gerechnet. Ich packte sein Handgelenk, drehte es mit einem kräftigen Ruck in eine anatomisch unkorrekte Richtung und brach es ihm damit. Bevor er einen Mucks von sich geben konnte machte ich eine halbe Drehung und rammte ihm meinen Ellenbogen unter das Kinn. Auch er sackte sofort zusammen.
Ein kurzer Blick verriet mir, dass unser kurzes Zusammentreffen unbeobachtet blieb und so hob ich mit meinem Taschentuch das Messer auf, steckte es in meine Tasche und ging zurück zur Straßenecke.
Tony-D stand immernoch lässig an der Hauswand. Er hatte beide Hände in seinen Hosentaschen und rief etwas einem Mädchen zu, das auf der anderen Straßenseite vorbei lief. Einen Augeblick später stand ich neben ihm. Er wirkte sichtlich erschrocken, doch nachdem er mich gemustert hatte und mich nicht als Cop oder eines seiner Feinde identifizierte, lockerte er sich wieder.
"Alter, hast mir 'nen ganz schönen Schrecken eingejagt," blubberte es aus ihm heraus. "Wer bist du und was willst du?"
Ich versuchte gleichermaßen übertrieben unauffällig, wie nervös zu wirken, um als Abhängiger durchzugehen und entgegnete ihm:"Hast du Crystals, Mann?"
Seine Augen verwandelten sich in kleine Schlitze, doch in ihnen blinkte kurz die Gier auf: "Ich kenn' dich nicht. Woher kommst du?"
Meine Masche schien zu funktionieren, auch wenn er eine gesunde Vorsicht an den Tag legte.
"Mann, ich komm' nich' von hier, aber man sagte mir, ich soll zu dir kommen, wenn ich was bräuchte. Hast du nun Crystals oder nich'?", ich drehte mich um und zog ein Bündel Geldscheine aus meiner Tasche.
Der Anblick meiner Banknoten erzielte das erwünschte Resultat. Tony-D schaute sich um und deutete mir mit einem Nicken an, mich in den Hauseingang zu begeben.
Als er mir einen kurzen Augenblick später in den dunklen Hausflur folgte, packte ich ihn und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen die Wand. Mit der linken Hand umklammerte ich seinen Hals und drückte ihn in die Höhe. Er versuchte erfolglos meinen Griff zu lösen und schlug mit aufgerissenen Augen auf mich ein.
"Du hättest deinen Mist lieber selber konsumieren sollen, als es Katsumis Tochter zu verkaufen", fauchte ich ihm leise ins Gesicht, als ich mit der rechten Hand das in das Taschentuch gewickelte Messer aus meiner Tasche zog. Es bohrte sich tief in seine Rippen und füllte so seine Lungen mit Blut.
Als das Leben aus ihm wich, glitt sein Körper auf den staubigen Hausflur.
Ich steckte das Taschentuch ein und verließ das Haus über den Hintereingang.
Ein paar Querstraßen weiter, wo sich eine der Zufahrtswege der Slums befinden, stieg ich in eines der Großraumjeeps, die als Kleinbusse benutzt werden, und fuhr Richtung Upper Town.
Tony-D war mein vierter Auftragsmord.

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